5 Fragen an ... Jessica Lind

Autorinnenschreibtisch: Jessica Lind

Lind

Wo schreibt Jessica Lind?

Mein Arbeitsplatz zeichnet sich dadurch aus, dass ich einen habe. Ich schreibe im Bett, auf der Terrasse, am Esstisch, im Kaffeehaus &hellip; aber wirklich selten an meinem Schreibtisch. Ich hab ihn trotzdem gerne, weil da der gerahmte Brief von Friederike Mayr&ouml;cker h&auml;ngt, die mein H&ouml;rspiel mochte und auf den ich sehr stolz bin. Au&szlig;erdem die Karten von Magdalena Fournillier (<a href="https://www.instagram.com/madgen.fou/?hl=de">@madgen.fou </a>auf Instagram). Und nicht zuletzt ist es ein guter Ort, um die B&uuml;cher zu stapeln, die ich f&uuml;r laufende Projekte lesen will.

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»Kinder sind nicht nur kleine Engel« – deine Protagonistin Pia weiß, dass in Kindern auch etwas Zerstörerisches, Böses steckt. Warum erschrickt uns diese Vorstellung so? Wir wünschen uns, dass Kinder lieb, nett und unschuldig sind. Das sind sie aber nicht, können es gar nicht sein, weil sich ihre Persönlichkeiten, ihr Sinn für Moral und Empathie erst entwickeln. Uns bringt das in Situationen, die uns überfordern. Wie reagiert man, wenn das Kind wütend um sich schlägt? Es ist ja unsere Aufgabe, es zu erziehen. Auch Pia fühlt sich verantwortlich für das Verhalten ihres Sohnes, weiß aber nicht, wie sie reagieren soll. Diese Hilflosigkeit ist schwer auszuhalten, gerade gegenüber einem Wesen, das einem eigentlich so vertraut sein sollte. Das macht einem doch die größte Angst, wenn sich das Unheimliche in der Unschuld versteckt, wenn man dem, was man zu kennen glaubt, plötzlich nicht mehr trauen kann. Dein zweiter Roman ist, wie auch schon dein Debüt Mama, von der ersten bis zur letzten Seite spannend. Was würdest du sagen, schafft Spannung in der Literatur? Es gibt ja mehrere Arten von Spannung. Zum Beispiel Suspense – wird die Bombe unter dem Tisch explodieren? Der Spannungsbogen hält bis zu dem Moment, wo die Frage beantwortet wird. Auch Kleine Monster beginnt mit einer Suspensefrage: Hat Luca wirklich gemacht, was ihm vorgeworfen wird? Diese Art von Fragen lässt sich immer mit Ja oder Nein beantworten. Ich selbst finde es spannender, was diese Situation mit den Figuren macht, zu welchen Handlungen es sie treibt – hier entsteht eine psychologische Spannung. Aus diesen unterschiedlichen Arten von Spannungsfragen ist der Roman gebaut, dabei geht es auch ums richtige Timing, wann gebe ich welche Information, wo lasse ich die Handlung Tempo aufnehmen und wo gebe ich Zeit zu reflektieren und entspannen. Neben Romanen schreibst du außerdem für Film und Fernsehen. Was sind die Vorteile der unterschiedlichen Medien für dein Geschichtenerzählen? Im Drehbuch macht es nur Sinn, das zu beschreiben, was man sehen kann. Man schreibt in Bildern und Dialogen Gebrauchstexte (manche lesen in Drehbüchern sogar nur die Dialoge), denn ein Drehbuch ist immer eine Vorstufe und muss noch verwandelt werden. Was ich daran sehr schätze, ist, dass man Szenen sehr leicht ändern und umstellen kann. Das lässt Raum für ein spielerisches Ausprobieren. Die Dynamik der Geschichte entsteht durch die Art, wie Szenen aneinandergereiht werden, durch Auslassungen und den Subtext. Diese Arbeitsweise benutze ich auch gerne für das literarische Schreiben, aber es sind unterschiedliche Welten. In der Prosa zählt die Sprache viel mehr. Ich trete in direkte Kommunikation mit den Lesenden, da ist nichts mehr dazwischen, die Worte sind das Werk. Ein anderer Unterschied ist, dass man beim Filmemachen auf andere angewiesen ist. Und ich sage mal so, als Drehbuchautorin steht man nicht gerade an der Spitze der Nahrungskette. Ich glaube, ich bin eine gute Teamplayerin, trotzdem liebe ich die Freiheit beim literarischen Schreiben. Und, dass ich von innen heraus erzählen kann. »Kleine Monster« ist ein moderner Familienroman, die Eltern teilen die Verantwortung für die Erziehung ihres Kindes. Was ist deiner Meinung nach die größte Herausforderung für gleichberechtigte Elternschaft? Alles unter einen Hut zu bekommen. Es geht einfach nicht ohne Verluste, immer hat man das Gefühl, etwas bleibt auf der Strecke. Pia und Jakob, das Paar in Kleine Monster hat zum Beispiel wenig Ambitionen im Job. Ich glaube, deswegen funktioniert es bei ihnen so gut. Sie haben beide eine pragmatische Herangehensweise – „wir haben uns eingerichtet im Ungefähren“, heißt es im Text. Trotzdem fühlen sie sich auch mal unzulänglich, zum Beispiel im Vergleich mit Jakobs beruflich viel erfolgreicherer Schwester, die wiederum damit hadert, dass sie eigentlich gerne ihre ganze Zeit mit ihrem Kind verbringen möchte. Der viel zitierte Satz, dass man ein Dorf braucht, um ein Kind großzuziehen, stimmt einfach. Aber so leben wir nicht. Wir leben in kleinen Familienverbänden und die Strukturen sind noch immer darauf ausgelegt, dass die Person, die weniger verdient einen Großteil der Care-Arbeit übernimmt. Gleichzeitig will ich mich persönlich nicht darum streiten müssen, wer mehr Lohnarbeit verrichten „darf“. Es ist schrecklich, dass die Verantwortung für Gleichberechtigung auf Individuen abgewälzt wird. Es geht in deinem Roman nicht nur um das unerhörte Ereignis in der Gegenwart, dem sich Pia und Jakob gemeinsam stellen müssen. Es geht auch um ein Unglück in Pias Vergangenheit. Was hat dich daran interessiert, Pias Kindheit mit ihrer Mutterrolle zu verknüpfen? Eigentlich findet sich hier der Schlüssel zum Roman. Wie wir uns als Eltern verhalten, hat sehr viel damit zu tun, wie wir selbst aufgewachsen sind. Ich habe generell das Gefühl in unseren 30ern erwischt es uns alle, egal ob Kinder oder nicht: Der Blick auf die eigene Kindheit ändert sich. Es beginnt eine Spurensuche, in der man entdecken kann, welche Verhaltensmuster wodurch entstanden sind. Kinder funktionieren dabei als Katalysator, weil sie dich so oft an deine Grenzen bringen. Und wenn man es nicht schafft, sich den Traumata der eigenen Kindheit zu stellen, läuft man Gefahr, die Fehler der Vergangenheit zu reproduzieren. Gleichzeitig verschiebt sich aber auch der Blick, auf einmal spielt man im anderen Team und kann seine Eltern entweder mehr oder sogar noch weniger verstehen. So geht es auch Pia, und wir begleiten sie bei diesem teilweise sehr schmerzhaften Prozess.

„Die Anatomie eines Verlustes, aus dem ein ungeheurer Verdacht erwächst: Wie lakonisch und präzise Jessica Lind über Mutterschaft erzählt ist einzigartig und nervenzerfetzend." Doris Knecht „Präzise wie eine Chirurgin legt Jessica Lind mit der Klinge ihrer Worte Schichten des Menschseins frei, die wir uns kaum anzusehen trauen. Ein ganz und gar wildes Erlebnis.“ Mareike Fallwickl „Jessica Lind ist eine Virtuosin des subtilen Horrors. Hier sitzt jedes Wort, jede Szene, jede Geste.“ Claudia Schumacher "Luca, 7 Jahre, wird in der Schule beschuldigt, sich einem Mädchen aufgedrängt zu haben. Die Eltern werden zu einem Gespräch zur Lehrerin gebeten und gehen mit der Situation ganz unterschiedlich um. Pia - die Mutter - verfängt sich dabei mehr und mehr in ihrer eigenen Vergangenheit. Der Roman startet bereits mit hohem Tempo und entwickelt sich dann fast hin zu einem Thriller, der es unmöglich macht, ihn beiseite zu legen." Birte Warnecke, Buchhändlerin aus Norderstedt "In der Schule hat es einen Vorfall mit Pias Sohn Lucca gegeben. Was passiert ist, bekommt man nur portioniert heraus. Frau Lind macht es dem Leser nicht einfach, denn es ist auch etwas in Pias Leben passiert. Auch hierzu erhält man nur brockenweise Auskunft. Ein sehr emotionaler Titel, der mich schon nach wenigen Seiten erfasst hat. Man schwankt zwischen Mitgefühl, Unverständnis und Zorn ständig hin und her. Einfach großartig!" Dagmar Küchler, Buchhändlerin Mayersche Essen "Auch in ihrem zweiten Roman widmet sich Jessica Lind dem Mutterthema auf ihre ganz eigene Weise. Wie in »Mama« lässt auch hier das Grauen nicht lange auf sich warten, nur lauern die kleinen und die großen Monster in diesem Roman meist zwischen den Zeilen, in all den ungesagten Worten und diesem grenzenlosen Interpretationsspielraum zwischen Wahrheit und Vermutung. Mit »Kleine Monster« ist Jessica Lind ein beeindruckender psychologischer Roman gelungen. Familiäre Idylle sollte man bei ihr nie erwarten, viel Stoff zum Nachdenken unbedingt. Ein wirklich gutes Buch." Angela Noack, Buchhändlerin Thalia "Das Buch hat mich sofort gefesselt und ich konnte es kaum aus der Hand legen. Wie sehr sind wir in der Vergangenheit gefangen, wie wirken sich Erlebnisse aus der Kindheit auf unser gesamtes Leben aus? Haben wir Einfluss darauf? Fast atemlos folgt man als Leser dem Geschehen." C. Reimann, Buchhändlerin Buchhandlung Buchstabe

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