5 Fragen an ... Julia Phillips

5 Fragen an ... Julia Phillips

Ihr neuer Roman Cascadia setzt, wie auch Ihr Debüt Das Verschwinden der Erde, zwei Schwestern in den Mittelpunkt. Was fasziniert Sie an Schwesternschaft?
Ich kann Familiengeschichten einfach nicht widerstehen! Selbst Schwester zu sein, hat meine Kindheit und meinen Blick auf die Welt entscheidend geprägt. Als wir klein waren, hat mein Bruder alle Regeln bestimmt – und ich folgte ihm. Als wir größer wurden, veränderte sich diese Dynamik natürlich, aber auch das war für mich faszinierend. Geschwister zu haben ist eine intensive, manchmal komplizierte, aber vor allem schöne Erfahrung. Die älteren Geschwister erziehen meist die jüngeren und zeigen wie die Welt funktioniert. Die Schwestern in Cascadia haben diese enge Bindung auch im Erwachsenenalter aufrechterhalten und die Intensität der Beziehung ist einerseits bemerkenswert, andererseits fordert sie auch ihren Tribut.

Erneut ist das Setting geprägt von wilder, schöner Natur, die allerdings Gefahren birgt. Diese wird in Cascadia von einem Bären verkörpert, der in das Leben der Schwestern dringt. Warum haben Sie sich gerade für dieses Tier entschieden?
Kein anderes Tier wäre in Frage gekommen. Es musste ein Bär sein, weil er zu dem Schauplatz der Geschichte passte. Es musste ein Bär sein, weil ich mich durch das Grimm’sche Märchen Schneeweißchen und Rosenrot inspiriert fühlte, und es musste ein Bär sein, weil ich Bären einfach liebe. Ich konnte diesen majestätischen Tieren bereits in den USA, Russland und Griechenland begegnen, und sie haben einfach einen gewaltigen, pelzigen Eindruck bei mir hinterlassen.

Eine TikTok-Umfrage zu Gewalt an Frauen führte vor einigen Wochen zu dem Ergebnis, dass Frauen lieber einem Bären als einem Mann im Wald begegnen würden. Können Sie das nachvollziehen?
Ja, ich fürchte, das kann ich. Es ist beklemmend, dass Frauen die Gefahr, die von Männern ausgeht, höher einstufen als jene, die ein wildes Tier verkörpert. In Cascadia ist es Sam, die sowohl vor Bären als auch vor Männern Angst hat. Sie möchte jeglicher Gefahr und potentieller Verletzung aus dem Weg gehen – seien es Menschen oder Tiere. Ihre Schwester Elena wiederum ist nahezu angezogen von dem Bären, der plötzlich auftaucht; für sie es ist ein Nervenkitzel, der ihr Leben endlich aufregend macht.

Sie stellen der Geschichte einen Auszug aus dem Grimm’schen Märchen Schneeweißchen und Rosenrot voran. Märchen lehren eine einfache Moral – gibt es eine solche in Ihrem Roman?
Bei Das Verschwinden der Erde lautete die Botschaft: »Die Gemeinschaft rettet uns.« Cascadia zeigt die Kehrseite der Medaille: »Die Trennung von der Gemeinschaft zerstört uns.«

Cascadia blickt hinter die Kulissen des sogenannten American Dream. Warum war Ihnen das wichtig?
Es ist mir wichtig, realistisch und zeitgenössisch zu schreiben. Meine Geschichten sind verankert in der Welt, die mich umgibt. Das Schreiben ermöglicht mir eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart und hilft mir, sie so gut wie möglich begreifbar zu machen. Ich konnte mir nicht vorstellen, eine zeitgenössische Geschichte in den Vereinigten Staaten anzusiedeln, ohne zu zeigen, was sich hinter dem zerfledderten amerikanischen Traum verbirgt. Die beiden Schwestern haben Schulden, kämpfen mit Löhnen, die ihre Lebenshaltungskosten nicht decken, und sind politikverdrossen. Ihre Verbitterung über die Diskrepanz zwischen dem Leben, das sie führen, und dem Leben, von dem sie träumen, ist auf jeder Seite spürbar.

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